In Katar soll alles mit Blick auf die Fußball-WM 2022 schön hergerichtet werden. Zu welchem Preis – das beschäftigt in diesen Tagen auch die Formel-1-Fahrer. Am Sonntag (15.00 Uhr/Sky) rasen sie erstmals im umstrittenen Wüstenstaat um WM-Punkte.
Genau ein Jahr vor Beginn des Großereignisses gleicht Katars Hauptstadt einer riesigen Baustelle. Wenn die Dunkelheit einsetzt, wird es in Dohas Altstadt langsam etwas ruhiger. Mit Bussen werden dann die unzähligen Arbeiter abgeholt, die zuvor den ganzen Tag für die Erneuerung der Straßen geschuftet haben. Auch Mitte November liegen die Temperaturen noch bei 30 Grad im Schatten, und die Sonne brennt unerbittlich.
Der Weltmeister vermeidet direkte Kritik an Katar
«Diese Orte müssen genau im Blick behalten werden. Gleichberechtigung ist ein ernstes Thema», sagte Weltmeister Lewis Hamilton. Der Brite ist sich über die schwierige Menschenrechtslage und die Situation vieler unterdrückter Menschen in dem Emirat bewusst. «Da der Sport an diese Orte geht, ist er verpflichtet, das Bewusstsein für diese Themen zu schärfen», sagte der 36 Jahre alte Mercedes-Pilot, vermied aber ebenso wie alle seine Fahrer-Kollegen direkte Kritik an Katar. «Es ist mehr eine Frage für die ganze Formel 1 und nicht nur für mich als Einzelnen», sagte Ex-Weltmeister Sebastian Vettel.
Seit Jahren steht Katar, das kleine Land auf einer Halbinsel am Persischen Golf, aufgrund der Missachtung von Menschenrechten, der Ausbeutung von Arbeitsmigranten oder der Unterdrückung der freien Meinung in der Kritik. Vorgeworfen wird den Machthabern unter anderem, dass sie durch ein massives Engagement im Profisport erreichen wollen, dieses ramponierte Image aufzubessern. Dabei soll auch die Formel 1 helfen, mit der ein Vertrag über zehn Jahre ab 2023 geschlossen wurde. Nach der Fußball-WM wird die wichtigste Rennserie der Welt langfristig das sportliche Aushängeschild des Wüstenstaats.
Lage in Katar weiterhin «extrem beunruhigend»
Hamilton ist überzeugt davon, dass man «Druck erzeugen kann, der hoffentlich Veränderungen bewirken kann», sagte er. Auch Kollege Carlos Sainz von Ferrari glaubt daran, dass es richtig ist, in Länder wie Katar oder Saudi-Arabien, das in zwei Wochen ebenfalls erstmals Austragungsort eines Formel-1-Rennens sein wird, zu gehen. «Wir wollen unsere Werte in diese Länder bringen. Es ist besser, als zu Hause zu bleiben», sagte der Spanier an der Rennstrecke nahe Doha.
Viele klare Worte zur Menschenrechtslage gab es in den Tagen vor dem Grand Prix auf dem Losail International Circuit aus dem Fahrerlager nicht. Das hatte sich vor allem Amnesty International gewünscht. «Die Fahrer und ihre Teams sollten bereit sein, im Vorfeld dieses Rennens auf die Menschenrechte in Katar aufmerksam zu machen», hatte die Organisation appelliert. Sie selbst nennen die Lage in Katar weiterhin als «extrem beunruhigend», auch wenn die Zeit mit mehr als 1000 Toten auf den Baustellen der Hauptstadt längst vorbei ist.
Die Regierung des Landes wies Kritik wiederholt zurück und beruft sich auf die umgesetzten Reformen für die Arbeiter. In den vergangenen zehn Jahren habe man mehr als jedes andere Land getan, um die Bedingungen für ausländische Arbeiter zu verbessern, hieß es. «Sie machen hier Schritte nach vorne, das wird sich auch nicht über Nacht verbessern. Es gibt immer noch einen langen Weg zu gehen», sagte Hamilton: «Ich versuche, meine Stimme zu erheben, aber es gibt weitaus intelligentere Leute, die sich mit diesen Themen auskennen und versuchen, sie im Hintergrund zu bekämpfen.»
Arabische Halbinsel als wichtiger Markt
Die Formel 1 sieht die Arabische Halbinsel als wichtigen Markt. Zudem können die Streckenbetreiber die hohen Antrittsgelder im zweistelligen Millionenbereich mühelos zahlen, während traditionelle Ausrichter in Europa das immer mehr vor große Probleme stellt. Erstmals finden nun gleich fünf Rennen nacheinander in der arabischen Welt statt. Nach den Stopps in Katar und Saudi-Arabien steigt das Saisonfinale in der Glitzerwelt Abu Dhabis. Die kommende Saison beginnt in Bahrain und Saudi-Arabien.
«Ich glaube, dass das Rampenlicht, das wir mitbringen, für den Willen und die Wünsche zur Veränderung, die diese Länder schon zeigen, von Vorteil sein wird», sagte Formel-1-Boss Stefano Domenicali der BBC: «Ich glaube nicht, dass der Ausschluss von Ländern und die Aussage, dass wir nicht da sein wollen, dazu beitragen wird, dass sich die Situation verbessert. Tatsächlich wird das Gegenteil der Fall sein.»
Ob große Sportveranstaltungen wirklich dabei helfen werden, einen gesellschaftlichen Wandel in Ländern wie Katar oder Saudi-Arabien voranzutreiben, bleibt mehr als fraglich. Klar ist aber auch, dass sich die Stars der Szene in einem Dilemma befinden und aufgrund ihrer vertraglichen Verpflichtungen sicher keinen Grand Prix boykottieren werden. «Alle sind sich über diese Dinge mit den Menschenrechten bewusst», sagte Williams-Fahrer George Russell: «Ich muss aber darauf vertrauen, dass uns die Fia (der Motorsport-Weltverband) an Orte bringt, an denen es auch angebracht ist zu fahren.»
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