25. November 2024

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Schweigen und Ausweichen: Formel-1 in Saudi-Arabien heikel

Die Rückkehr der Formel 1 nach Dschidda ein Jahr nach einem Raketenangriff löst wieder Kritik aus. Aber selbst Menschenrechts-Vorkämpfer Lewis Hamilton steuert einen Ausweichkurs.

Über die beängstigenden Bilder eines Raketeneinschlags im Vorjahr mochte selbst Formel-1-Aktivist Lewis Hamilton nur widerwillig sprechen. Bei der Rückkehr ins umstrittene Gastgeberland Saudi-Arabien hoffe er einfach auf ein sicheres Wochenende und auf eine sichere Heimkehr, ließ der Rekordweltmeister wissen.

Gedanken an einen Verzicht auf einen Start in Dschidda als Signal in der Debatte um Menschenrechte und gegen die Instrumentalisierung seines Sports wies Hamilton zurück. «Wenn ich hier nicht fahren würde, würde die Formel 1 ohne mich weitermachen», meinte der Mercedes-Superstar.

Menschenrechtsorganisation zeigt sich kritisch

Klartext kam von anderer Seite. «Dieses Rennen am Wochenende findet in einer Zeit statt, in der die Hinrichtungen wieder zunehmen, 13 in den vergangenen zwei Wochen, von denen wir wissen», zitierte der britische «Guardian» die Direktorin der Menschenrechts-Organisation Reprieve, Maya Foa. «Das zeigt, wie ermutigt das Regime von Mohammed bin Salman geworden ist. Zuversichtlich, dass es sich auf das Schweigen der Formel 1 verlassen kann.»

In der Vorsaison hatte der weithin sichtbare Rauch aus einer von Raketen getroffenen Öl-Anlage des Formel-1-Sponsors Aramco in Streckennähe die Debatte um das Gastspiel in Saudi-Arabien beschleunigt. Über die Hintergründe der Attacke von Huthi-Rebellen, gegen die Saudi-Arabien im Jemen einen blutigen Krieg führte, mag sich im Formel-1-Fahrerlager aber ein Jahr später kaum noch jemand Gedanken machen.

«Ich ziehe es vor, die Frage nicht zu beantworten», entgegnete stattdessen Valtteri Bottas in der Medienrunde des Weltverbands. Seine Kollegen Alex Albon und Yuki Tsunoda verwiesen umgehend auf Bottas‘ Antwort. Es wirkte, als fühlten sie sich nicht ganz wohl. Nur sagen wollten sie es offenbar nicht.

Vorwurf Sportswashing

Wegen des Kriegs im Jemen, der Unterdrückung der Opposition und der Einschränkung der Meinungsfreiheit wird Saudi-Arabien immer wieder von Menschenrechtlern kritisiert. Es sei das Ziel des Königreichs, «das Image des eigenen Landes durch die Ausrichtung von Sportveranstaltungen und deren positive Berichterstattung in den Medien zu verbessern», erklärt Amnesty International. Sportswashing wird so etwas genannt.

Die Ambitionen Saudi-Arabiens im Zusammenhang mit großen Sportereignissen würden eindeutig über das Sponsoring hinausgehen, betonte jüngst noch mal Human Rights Watch in der Debatte um ein mögliches Sponsoring der Frauenfußball-WM 2023 in Australien und Neuseeland durch die staatliche Tourismusbehörde Saudi-Arabiens. Weltverbands-Präsident Gianni Infantino hatte aber zuletzt gesagt, das in Teilen der Welt stark kritisierte Engagement sei nicht zustande gekommen. Ende dieses Jahres wird Saudi-Arabien Gastgeber der Club-WM sein, Ambitionen als Ausrichter der Fußball-WM 2030 sind auch kein Geheimnis.

Die Verpflichtung von Cristiano Ronaldo sollte als weiterer großer Coup dienen. Ob der Fußball-Superstar, der für den FC Al-Nassr in Saudi-Arabien für Unsummen kickt, am Sonntag vor dem Rennen (18.00 Uhr/Sky) durch die Formel-1-Startaufstellung defilieren wird, ist fraglich, er soll zum Kader Portugals für die kommenden Länderspiele gehören.

Politische Äußerungen als Regelverstoß

Auf jeden Fall unerwünscht sind kritische Aussagen aus dem Fahrerlager. Und die Verantwortlichen der Formel 1 haben längst vorgesorgt. Ende Dezember vergangenen Jahres hatte der Internationale Automobilverband sein Regelwerk bei politischen Meinungsäußerungen präzisiert und den Verbotskurs verschärft. Seitdem stellen «politische, religiöse und persönliche Äußerungen oder Kommentare» einen Regelverstoß im internationalen Sportreglement unter Punkt 12.2.1.n dar. Es sei denn, sie sind vorher genehmigt worden.

Daher betonten die Fahrer stattdessen gern, dass ihnen versichert wurde, an einem sicheren Ort zu sein. Und dass sie der Formel 1 vertrauen. Und dass sie froh wären, wieder hier zu sein und sie als Sport in der Lage seien, dem Land und den Leuten zu helfen, sich weiterzuentwickeln. «Das ist etwas, auf das wir alle stolz sein können», befand Red-Bull-Pilot Sergio Perez.

Auch Hamilton wortkarg

«Nicht viel zu ergänzen», meinte direkt danach Hamilton, der sich seit Jahren vehement und öffentlich für Menschenrechte, gegen Unterdrückung und gegen Diskriminierung einsetzt. Wenige weitere Worte reichten aber, um seinen Standpunkt auch ohne längere Ausführungen klarzumachen: «Ganz das Gegenteil zu dem, was sie sagten.» Sie, das waren seine Kollegen, die wenig sagten, aber wenn, dann eher Positives.

Im Vorjahr sollen die Piloten nach der Raketen-Attacke noch kurz vor einem Boykott gestanden haben. «Das war schon unheimlich, was letztes Jahr hier passiert ist. Keiner von uns wollte so etwas erleben», betonte rückblickend der französische Alpine-Pilot Esteban Ocon.

Doch die Show muss weitergehen. Angeblich kassiert die Rennserie für den Zehnjahresvertrag mit Saudi-Arabien Antrittsgelder von insgesamt 900 Millionen Dollar. «Muss erst eine Rakete im Fahrerlager einschlagen, bevor die Formel 1 verschwindet?», fragte nun die niederländische Zeitung «AD».

Jens Marx, dpa